Kurzer Blick in die Soziologie und Geschichte der Trinkrituale
In der Soziologie, der Wissenschaft vom Zusammenleben in menschlichen Kulturen, gibt es, was das Verhältnis der Kulturen der Welt zum Alkohol angeht, folgende Einteilung.
• Alkoholprohibitive Kulturen: Dies betrifft in erster Linie islamische Länder und Gemeinschaften, in denen ein generelles Alkoholverbot gilt. Alkohol ist dort ausschließlich zu medizinischen Zwecken erlaubt.
• Alkoholexzeptionelle Kulturen: Als Beispiel wäre hier die jüdische Kultur zu nennen, die den Alkoholkonsum nur in genau festgelegten Ausnahmefällen (und dann auch nur in begrenzten Mengen) zulässt.
• Alkoholpermissive Kulturen: Hier ist Alkoholkonsum bei bestimmten Gelegenheiten generell "erlaubt". Diesbezüglich trennt man in der Soziologie die Mittelmeerländer, in denen Alkohol (in kleineren Mengen genossen) als Alltagsgetränk etabliert ist, das zum Beispiel zum Essen gereicht wird, von Kulturen, in denen der Alkoholkonsum in erster Linie an Wochenenden und bei festlichen Anlässen anzutreffen ist – dann allerdings meist auch in größeren Mengen. Als Beispiel werden hier meist die skandinavischen Länder genannt.
• Alkoholdeterminierte Kulturen: In diesen Kulturen bedarf es eines besonderen Anlasses der Alltagskultur, der dann eng mit dem Alkoholkonsum verknüpft ist. Geburtstage, Hochzeiten und Taufen, aber auch Beerdigungen bilden den Rahmen, in dem bis zu einem gewissen Maß auch Trunkenheit geduldet wird. Als Beispiele hierfür werden meist Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Niederlande genannt.
• Alkoholexzessive Kulturen: Die Soziologie kennt jedoch auch Kulturen, in denen Alkoholkonsum nicht nur als Norm gilt, sondern auch der Rauschzustand als Zeichen von Männlichkeit, Stärke oder Großzügigkeit gedeutet wird. Folglich werden meist hochprozentige Alkoholika getrunken.
Schon ein kurzer Blick in die Geschichte der Trinkkultur und Trinkrituale offenbart, dass alkoholexzessives Verhalten in früheren Zeiten viel stärker verbreitet war. Dazu einige aussagekräftige Beispiele:
Im alten Ägypten soll es an Festtagen Brauch gewesen sein, dass sich Pharaonen und Priester bis zur Bewusstlosigkeit betranken, was dann als heilig galt. Durchaus ähnlich verhielt es sich bei den alten Griechen: Im Alltag war der Rausch zwar ausgesprochen verpönt, weshalb Wein auch generell mit Wasser versetzt wurde; bei rituellen Trinkgelagen jedoch (witzigerweise "Symposium" genannt), strebte man ebenfalls eine heilige Trunkenheit an.
Die Germanen wiederum gingen davon aus, dass auch die Götter Alkohol trinken. Es heißt zudem, dass bei den Germanen zu festlichen Anlässen sogar ein "Trinkzwang" durchgesetzt wurde. Für das Mittelalter wird aus dem deutschen Sprachraum über trinkende Männer übermittelt, dass Gelage an der Tagesordnung waren. Beim "Zutrinken" herrschten raue Sitten: Wer ein angebotenes Getränk ablehnte, beleidigte den Ausschenkenden; keiner der am Gelage Beteiligten dürfte sich vorzeitig zurückziehen, wollte er nicht als Schwächling gelten und riskieren, als Außenseiter geächtet oder sogar getötet zu werden. Chronisten berichten vom weit verbreiteten "Kampftrinken", einem Duell ohne Waffen, bei dem Adlige allerdings das Privileg genossen, einen (bedauernswerten) Diener als Stellvertreter in den Kampf schicken zu dürfen. Zum Glück haben sich die Zeiten geändert, denn heutzutage wird es meist als selbstverständlich akzeptiert, wenn Alkohol in Maßen genossen wird und jemand einen angebotenen Drink ausschlägt.
5 Trinkrituale aus Europa
Aus dem bereits Gesagten lassen sich für die Gegenwart ein paar soziologische "Basics" ableiten. Generell gilt in aller Welt das (maßlose) alleinige Trinken als verpönt; vielmehr sieht man den Alkoholgenuss (man beachte, dass hier ausdrücklich von "Genuss" die Rede ist!) als geselliges Phänomen an, das unter anderem dazu dient, Kontakte zu knüpfen oder auf angenehme Art zu pflegen. Alkohol wird als Gut gesehen, das mit anderen geteilt wird. So führt das Anbieten von Alkohol sehr häufig dazu, dass zwei Menschen vom formalen "Sie" zum vertrauteren "Du" wechseln. Ein weiterer wichtiger soziologischer Aspekt sind die sogenannten "Nationalgetränke" (wie etwa Grappa in Italien oder Whisky in Schottland), die Identität stiftend wirken und mit deren Genuss man seine Verbundenheit mit einer bestimmten Kultur oder Region ausdrücken kann. In diesen Bereich gehören auch die regionalen Trinkrituale, die man als Weltreisender unbedingt kennen sollte, damit man beim geselligen Trinken mit den "Eingeborenen" genau Bescheid weiß und mögliche unheilverheißende Fettnäpfchen vermeiden kann. Öffnen wir also den Vorhang und lassen wir kurz einige Trinkrituale die Bühne betreten:
1. Der Trinkspruch
Beginnen wir mit einem weltweit in unterschiedlichster Form anzutreffenden Trinkritual: dem Trinkspruch. Dabei handelt es sich entweder um eine kurze Formel (Prost! bzw. Prosit!; zum Wohle oder Hoch die Tassen!) oder um einen längeren Trinkspruch, der entweder feststehend ist oder einer individuellen und spontanen Eingebung folgt.
Eine besondere Form des Trinkspruchs ist der Toast: Jemand aus der Trinkrunde erhebt sich, bittet um Aufmerksamkeit und hält eine kurze Ansprache, in der er unter anderem erklärt, worauf man anstößt (meist gilt der Toast einer anwesenden Person), bevor gemeinsam angestoßen und getrunken wird. Geschichtlich gesehen, hat diese Form des Trinkspruchs tatsächlich etwas mit geröstetem Brot zu tun: Die englischen Lords, auf die diese Tradition zurückgeht, gaben dieses tatsächlich in ihren Wein – angeblich, um dessen Geschmack zu verbessern. Ein schönes Beispiel für einen besonderen Toast aus Irland möchten wir nicht für uns behalten: Auf einer Geburtstagsfeier erhob sich einst ein Anwesender und wünschte dem Geburtstagskind alles erdenklich Gute. Als besonderes Geschenk würde der Redner ihm, dem werten Freunde, gerne einen Sarg zimmern; aber nicht irgendeinen Sarg, sondern einen aus einer hundertjährigen Eiche. Nach einer Kunstpause, das Entsetzen der Feierrunde auskostend, setzte er hinzu: Und nun würde er ins Freie treten, um diese Eiche zu pflanzen. Erleichtert und gerührt von diesem besonderen Glückwunsch erhoben alle Anwesenden ihr Glas und stießen an.
2. Das Anstoßen
Vom Anstoßen war gerade die Rede. Ebenso beliebt wie wohl falsch ist die Erklärung, dieser international weit verbreitete Brauch habe im Mittelalter einem ausgesprochen lebenswichtigem Zweck gedient. Angeblich sollte das Gegeneinander-Stoßen der Gläser bewirken, dass sich die jeweiligen Flüssigkeiten tröpfchenweise vermischen, was Giftanschläge verhindern sollte. Wie gesagt: Schöne Vorstellung, aber leider historisch nicht belegbar! In Deutschland funktioniert das Anstoßen nach folgender Regel: Wer miteinander anstößt, muss sich dabei unbedingt in die Augen schauen, weil ansonsten den Beteiligten sieben Jahre Unglück ins Haus stehen. Unheil droht ebenfalls, falls versehentlich über Kreuz angestoßen wird
3. Scherben bringen Glück in England und Griechenland
Um Unglück abzuwenden, geht es in England und Griechenland handgreiflicher zu. Während man in englischen Pubs durchaus Pint-Gläser hinter sich an die Wand wirft, werden in Griechenland nach dem Anstoßen mit Inbrunst Porzellanteller zertrümmert, bevor man sich ans Tanzen macht, gerne zu schwermütigem Rembetiko, der griechischen Variante des Blues. Das Ganze soll Glück bringen, man braucht aber auch ein bisschen Glück, um sich nicht zu verletzen. Und wo wir gerade beim Aberglauben sind: In Italien ist es zwingend erforderlich, das Glas nach dem Zuprosten wieder auf den Tisch zu stellen.
4. Das anstößige Anstoßen in Ungarn
Was das Anstoßen angeht, bildet Ungarn übrigens eine wichtige Ausnahme – dort sollte man es tunlichst unterlassen, und zwar im Gedanken an eine historische Episode aus der Landesgeschichte. Nach der Hinrichtung mehrerer Generale im Jahre 1894 stießen die Henker auf ihre getane Arbeit an. Stoßen Ungarn dennoch an, sagen sie "Haynau soll sterben" und meinen damit den für die besagte Hinrichtung zuständigen Befehlshaber. Außerdem spricht immer der Gastgeber den ersten Toast.
5. Der Tischmeister in Georgien
Abschließend noch ein Blick nach Georgien: Dort gibt es bei geselligen Runden die Institution des "Tischmeisters", dessen wichtige Aufgabe darin besteht, sämtliche Gäste aufzufordern, möglichst anspruchsvolle Toasts auszubringen, was gerne schon mal in richtige "Wettkämpfe" ausarten kann. Andere Länder, andere Sitten!
Wir hoffen dir hat unser kleiner Exkurs über die verschiedenen Trinkrituale gefallen. Kennst du noch weitere Trinkrituale, die du gerne mit uns teilen möchtest? Schreib es uns in die Kommentare!